Wie das Handelsblatt versucht, die Argumente der Verweigerer und die Auswirkungen der Verweigerungen wegzudiskutieren

Die Verweigerung von 339 Professorinnen und Professoren, am BWL–Ranking teilzunehmen und die Unterschriften von 309 unter den offenen Brief haben in der Tat eine intensive Debatte über die Forschungskultur des Faches in Gang gebracht. Sie sollte allerdings nicht in Diskreditierung der „Verweigerer“ münden: „Relevant“ sind für das Handelsblatt nämlich nur diejenigen, die es, hätten sie nicht verweigert, in die Top-Ränge geschafft hätten. Und das sind „nur“ 23. Wer in der BWL wichtig ist, bestimmt das Handelsblatt-Ranking. So wird Wirklichkeit konstruiert – die Wirklichkeit des Handelsblatt-Rankings.

Diskreditierung bedeutet es auch, die Verweigerer als zum alten Eisen gehörend zu erklären, welche die „neue BWL“ nicht mehr so richtig verstehen. Zwei Experten haben für das Handelsblatt wissenschaftlich analysiert: „Je länger ein Professor im Dienst ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er das Ranking ablehnt.“ Auch zitiert das Handelsblatt einen typischerweise anonymen Beitrag einer „Doktorandin“ in unserem Blog, die den Boykott als „einen „peinlichen Versuch, das Rad zurückzudrehen und ein veraltetes deutsches Verständnis der BWL-Forschung zu rechtfertigen“. Es unterschlägt die Erwiderung eines (nicht anonymen) jungen Wissenschaftlers, der feststellt: „Die Aussage, es würden nur diejenigen aussteigen, die eh im Ranking schlecht wären, ist lächerlich und ohne Anstand angesichts vieler sehr bekannter Namen auf der Liste.“

Jeder, der sich in der Betriebswirtschaftslehre etwas auskennt, wird beim Studium der Liste der Unterzeichner des offenen Briefs – veröffentlicht in unserem Blog https://handelsblattranking.wordpress.com – zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausmachen, die wesentlich zur Entwicklung des Fachs beigetragen haben und immer noch beitragen. Das wissenschaftliche Renommee dieser Unterzeichner sollte bei dem einen oder anderen Leser Zweifel an der suggerierten Objektivität des Rankings wecken. 17 Wissenschaftler, die unter die Top 250 beim Lebenswerk gekommen wären, haben die Opt-Out-Option gewählt. Besonders beachtlich ist, dass in der Auswertung für die aktuelle Forschungsleistung sechs der führenden 100 Forscher nicht genannt werden wollen und sieben bei den unter-40-Jährigen. Die Verweigerer der beiden letzten Gruppen sind die eigentlichen Helden: Sie bringen durch die Verweigerung ihre kritische Einstellung zum Handelsblatt-Ranking zum Ausdruck und nehmen dabei bewusst Nachteile in Kauf, weil das Handelsblatt-Ranking einen starken Einfluss auf Karrieren haben kann. Ältere Verweigerer sind davon weniger betroffen, was erklärt, warum diese überwiegen.

Diskreditierend ist auch, nur solche Kollegen in Stellung zu bringen, die sich für das Ranking aussprechen. So befindet der Präsiden der Berliner Business School ESMT kurz und bündig: „Methodische Mängel kann ich nicht erkennen, das Ranking folgt anerkannten internationalen Standards.“ Nicht weniger prägnant äußert sich Udo Steffens, Präsident der Frankfurt School of Finance and Management: “Ich halte das Ranking für hervorragend. Es misst die wissenschaftliche Forschungsleistung von Hochschulprofessoren, und zwar objektiv.“

Nun gibt es aber eine große Zahl international anerkannter Experten, die sich äußerst kritisch zu Rankings äußern (nachzulesen auf unserem Blog). So beispielsweise Joel Baum anlässlich der Verleihung des Distinguished Scholar Award beim Academy of Management Meeting, dem weltweit bedeutendsten Treffen der Managementforscher. Er spricht dem Social Science Citation Index jegliche wissenschaftliche Aussagefähigkeit ab. In seinem in der Zeitschrift “Organization“ veröffentlichten Vortrag wundert er sich, dass mit dem Impact Factor (der auch im Handelsblatt-Ranking zur Bestimmung der Qualität von Aufsätzen herangezogen wird) nicht passiert, was normalerweise mit einem Maß passiert, das so „schlecht konzipiert, unzuverlässig und invalide ist“. Ein solches Maß würde unter Wissenschaftlern schnell in Verruf kommen und keine Verwendung finden. Der Impact Factor ziehe jedoch „immer größere Aufmerksamkeit auf sich und wird immer öfter angewendet – und zwar auf eine zersetzende Weise“. Baum: „Es ist merkwürdig, dass wir uns auf eine solch unwissenschaftliche Methode wie den IF einlassen, um die Qualität unserer Arbeit zu evaluieren. Noch merkwürdiger ist, dass wir uns dabei so unkritisch verhalten.“ Er fordert dazu auf, den Unfug mit dem Impact Factor so schnell wie möglich zu beenden.

Eine andere Basis zur Bestimmung der Qualität von Aufsätzen im Handelsblatt-Ranking bildet JOURQUAL – ein Produkt deutscher Experten. Dieses Instrument basiert auf Befragungen der Mitglieder des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft. Befragte werden aufgefordert, die Qualität von Zeitschriften zu bewerten, in denen sie mindestens einen Aufsatz in den letzten fünf Jahren gelesen haben. Man muss kein Experte für Rankings sein, um feststellen zu können, dass die Lektüre eines Aufsatzes in fünf Jahren keinesfalls eine Basis für ein fundiertes Qualitätsurteil über eine Zeitschrift abgibt. Soviel zu den „internationalen Standards“ des Handelsblatt-Rankings.

Der Anspruch auf Objektivität, wie er in der Stellungnahme von Udo Steffens zitiert wird, ist absurd. Nicht nur sind subjektive Experten-Einschätzungen unzuverlässig. Auch Zitationsanalysen wie die des „Social Science Citation Index“ sind alles andere als objektiv, sondern unterliegen vielen Verzerrungen. So werden empirische Arbeiten deutlich mehr zitiert als theoretische. Sind sie deshalb „objektiv“ besser?

Darüber hinaus hat der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft ablehnend gegenüber Personenrankings wie das des Handelsblattes reagiert und empfohlen, vor einer erneuten Veröffentlichung des Rankings die verbesserte Version des VHB-JOURQALS abzuwarten. Diese will die Verzerrungen zwischen den Fächern berücksichtigen, (vgl. http://vhbonline.org/verein/stellungnahmen/handelsblatt-ranking/)
Die Empfehlung, des Handelsblattes, dass sich jeder selber eine Liste der Vertreter seines Faches zusammenstellen kann, wirkt angesichts der von ihm veröffentlichten Liste der angeblich „forschungsstärksten“ Betriebswirte über alle Fächer hinweg ausgesprochen zynisch.

Einer der gewichtigsten Einwände gegen Rankings – dass sie zu unerwünschten Verhalten beitragen – wird jenseits der bösartigen Diffamierung einzelner Kollegen gar nicht aufgenommen. Der Druck, auf der „Superstar“-Liste aufzutauchen, führt dazu, dass mehr irrelevante, praxisferne und unoriginelle Ergebnisse produziert und das Rad der Publikationen und Zitationen immer schneller gedreht wird. Es gibt eine rasant wachsenden Anzahl von wissenschaftlichen Zeitschriften und zwangsläufig immer oberflächlichere Gutachten. Immer mehr Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen schreiben, immer weniger lesen. Einer Untersuchung zufolge wird nur die Hälfte der Aufsätze in wissenschaftlichen Journals von anderen Personen als den Gutachtern gelesen; neun von zehn Artikel werden von den anderen Wissenschaftlern nie zitiert.

Noch schlimmer ist, dass ein „lock-in“- Effekt“ entsteht, aus dem sich einzelne Forscher und Institutionen kaum mehr befreien können: Universitäten und Fakultäten reagieren auf den öffentlichen Druck, den Rankings erzeugen. Sie berufen bevorzugt solche Kolleginnen und Kollegen, die gemäß ihrer Position in dominanten Rankings die Reputation der jeweiligen Institution stärken und mehr Ressourcen einbringen. Was eine Person inhaltlich zur Fortschritt der Wissenschaft leistet, wird durch die irreführende „Objektivität“ der quantitativen Rankings übertüncht. Die inhaltliche Qualität der Forschung kann immer nur diskursiv und nicht durch Zählen von Rankingpositionen bestimmt werden.

Der Beinahe-Verweigerer Nils Boysen stellt aufgrund der Rankings einen „frischen Wind“ in der BWL fest. Zwar haben Rankings – wie alle Leistungsindikatoren – zunächst einen positiven Lerneffekt. Der schlägt aber rasch in einen zerstörerischen Taifun um, wenn sich die Leistungsindikatoren verselbständigen und zu einem „gaming the system“ führen. Allerdings kann dieses Umschlagen nur von erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern festgestellt werden, die selber am Forschungsprozess beteiligt sind. Alles andere ist eine Selbstüberschätzung von selbsternannten Oberlehrern, die sich zum Schiedsrichter über die BWL aufschwingen. Es wäre besser, der „frische Wind“ in der BWL käme von originellen und relevanten Ideen in der Forschung.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Alfred Kieser
Prof. Dr. Dr. h.c. Margit Osterloh

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4 Antworten zu Wie das Handelsblatt versucht, die Argumente der Verweigerer und die Auswirkungen der Verweigerungen wegzudiskutieren

  1. Olaf Storbeck schreibt:

    Damit sich jeder ein eigenes Bild machen kann: Der Handelsblatt-Artikel, aus dem hier zitiert wird, findet sich hier: http://www.handelsblatt.com/politik/oekonomie/bwl-ranking/betriebswirte-bekaempfen-forschungsranking-deutschland-sucht-den-super-prof/7114062.html
    Zudem zitieren wir in der heutigen Printausgabe wie auch online (http://www.handelsblatt.com/politik/oekonomie/bwl-ranking/dokumentation-falsche-anreize-schaden-der-wissenschaft/7114064.html) ausführlich aus dem offenen Brief, den wir ja auch als erstes Medium Ende August veröffentlicht hatten. Insofern ist die Kritik, wir würden „nur solche Kollegen in Stellung .. bringen, die sich für das Ranking aussprechen“, nicht nachvollziehbar.

  2. Pingback: Handelsblatt.com - BWL-Ranking 2012 – die Ergebnisse « Handelsblog

  3. Peter Mertens schreibt:

    Würde das Handelsblatt auszählen lassen, welche Zehnkämpfer auf der Olympiade die besten 100m-Zeiten gelaufen waren, und dann einen Artikel mit „Die schnellsten Sprinter unter den Zehnkämpfern“ überschreiben, so wäre das in Ordnung. Die Überschrift „Die schnellsten Zehnkämpfer“ wäre noch tolerabel, obwohl u. a. der Hürdenlauf ausgespart bliebe. Schlagzeilen wie „Das Handelsblatt-Zehnkämpfer-Ranking spaltet die Athletenschaft“, „Die produktivsten Zehnkämpfer“ oder „Streit über Leistungsmessung ist auch ein Generationenkonflikt“ wären – zurückhaltend formuliert – grenzwertig. Dies auch, wenn der aufmerksame Leser im Text erkennen könnte, dass es nur um die schnellsten 100m-Läufer unter den Zehnkämpfern geht (vgl. Handelsblatt vom 10.9.12).

    Ein guter Hochschulprofessor muss etwa zehn Aufgaben erfüllen. Die Publikationen in ausgewählten Zeitschriften sind nur eine davon.

    Ich kenne einen Universitätslehrer recht gut. Er kann vorweisen:

    101 Fach- und Lehrbücher sowie Sammelwerke allein oder mit Koautoren geschrieben bzw. herausgegeben (alle bearbeiteten Neuauflagen und Übersetzungen in vier Fremdsprachen einzeln gezählt)

    525 Aufsätze und Beiträge zu Sammelwerken verfasst bzw. mitverfasst

    An acht nationalen und internationalen Fachzeitschriften in irgendwelchen Rollen, zum Teil auch in den schwierigen Gründungsphasen und als Hauptherausgeber mitgearbeitet. (Die Zahl der „peer reviews“ kann er nicht mehr nachrechnen, aber sie reichen als Erfahrungsschatz aus, um zu wissen, wie man als Autor „gegen das System spielt“.)

    Einen Teil der Vorlesungen in überfüllten Großen Hörsälen gehalten oder auch doppelt angeboten

    In den letzten Jahren seiner aktiven Tätigkeit jeweils über 4000 mündliche und schriftliche Prüfungen pro Jahr in drei Fakultäten und acht Studienrichtungen abgenommen; das kostete ihn jeden zweiten Samstag und Sonntag; damit dem Steuerzahler viel Geld gespart im Vergleich zu manchem Forscher in der Exzellenzinitiative, der dem Lehr- und Prüfungsbetrieb gezielt aus dem Weg geht

    Dozent an der Bayerischen Eliteakademie

    102 Promotionen als Erstreferent betreut

    12 Unternehmen sind aus seinem Institut hervorgegangen, ca. 1000 Arbeitsplätze in Deutschland

    Wichtige wissenschaftliche Institutionen mitbegründet

    Eine Reihe von Ehrungen, darunter fünf Ehrendoktorate im deutschsprachigen Raum

    Nur die paar Aufsätze und wenigen „Best paper awards“ in Zeitschriften, die derzeit als AAA gehandelt werden, bestimmen, ob er gut ist?

    Petr Mertens, Schwaig

    Zahlreiche Ämter in der Wissenschaftsselbstverwaltung inner- und außerhalb der Universität bekleidet, darunter etliche höhere

    22 Universitäts- und FH-Professoren ausgebildet

  4. Pingback: BWL-Ranking 2012 – die Ergebnisse | Economics Intelligence

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